Von Nina Trentmann
Fotos: Benjamin Trentmann-Mannall-Fretwell
Ich war schon immer sehr neugierig. Musste alles wissen, alles sehen, alles anfassen. Fast zwangsläufig landete ich damit im Journalismus.
In der Oberstufe begann ich für die Lokalzeitung zu schreiben. Für die Neue Osnabrücker Zeitung ging ich zum Schützenfest, zum Reitturnier, zum Erntedankmarkt—das ganze Programm.
Mein erstes Praktikum führte mich zur Bild-Zeitung in Berlin. Eine harte Schule, denn mit meinen Themenvorschlägen erntete ich in den ersten Tagen nicht mal ein müdes Lächeln. „Das muss neu sein, Frau Trentmann! Was ist die Geschichte?“, fragte der Ressortleiter, mit gelangweiltem Blick. Das hat gewirkt, noch heute frage ich mich, bevor ich ein Thema vorschlage: Ist das wirklich neu?
Nach Stationen als freie Mitarbeiterin des Kölner Stadt-Anzeigers und der Welt am Sonntag in Düsseldorf ging es nach Studienende nach Berlin, wo ich bei der Welt-Gruppe volontierte. Schon bald wurde klar, dass ich im Bereich Wirtschafts- und Finanzjournalismus arbeiten wollte. Statt der Ankündigungen, der Vorsätze, der hehren Ziele, von dem mir die Politik und die dazugehörige Berichterstattung geprägt schien, regieren im Wirtschafts-und Finanzressort die Zahlen. Über Firmen zu berichten, vor allem im Ausland, wurde schnell zu meinem erklärten Ziel.
Das führte mich nach Shanghai, wo ich für die Welt und andere Medien über deutsche und chinesische Firmen berichtete. Xi Jinping etablierte sich damals gerade als chinesischer Präsident, und ausländische Firmen, unter anderem auch im deutschen Mittelstand, machten sich große Hoffnungen, dass mit der neuen Führung im Reich der Mitte auch endlich das „Level Playing Field“ kommen würde, das Wirtschaftsführer und auch Bundeskanzlerin Merkel so lange gefordert hatten, gleiche Bedingungen für alle.
Heute, zehn Jahre später, wissen wir, dass sich diese Hoffnungen nur in Teilen erfüllt haben. China ist nach vier Jahren Trump im Weissen Haus, Handelskrieg mit den USA und der Corona-Pandemie entschlossen, seine Abhängigkeit von westlichen Technologien zu verringern und verknüpft an vielen Stellen Politik und (Staats-)Wirtschaft, im eigenen Land und auch im Ausland. Die von vielen erwartete Öffnung und Liberalisierung der Gesellschaft durch steigenden Wohlstand ist in der Form nicht eingetreten.
Meine Zeit in China war durch viele Reisen geprägt. Für die Welt und den Focus schaute ich mir Stahlwerke und Autofabriken an, interviewte chinesische Milliardäre und lernte die große Vielseitigkeit des Landes kennen, in dem man sich an einigen Orten wie in einer fernen Zukunft fühlte und andernorts meinte, noch in den 80er oder 90er-Jahren unterwegs zu sein. China hat mir auch die große Kluft zwischen arm und reich aufgezeigt, die viele Entwicklungsländer prägt, und den großen Hunger der Menschen nach Wohlstand und westlichem Lebenskomfort, der mit deutschen Waschmaschinen und Autos und amerikanischen iPhones gestillt wird. Meine Zeit in China hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet und ein besseres Verständnis globaler Wirtschaftsdynamiken vermittelt.
Von Shanghai aus ging es, mit dem Masterzeugnis in der Tasche, nach London, wo ich fuer die Welt als Wirtschafts- und Finanzkorrespondentin arbeitete und meinen deutschen Kollegen und Lesern nahe brachte, dass in Großbritannien durchaus noch einiges produziert wird, wenngleich nicht in dem Maße wie in Deutschland.
Ich berichtete aus der Londoner City, interviewte britische und internationale Unternehmensführung, schrieb über die Folgen des Klimawandels für das britische Nationalgericht Fish & Chips, über den letzten klassischen Defender, der bei Land Rover vom Band lief und reiste nach Aberdeen, um über die Folgen des Ölpreis-Crashes zu berichten. Britischen und internationalen Fernsehsendern erklärte ich in meiner Freizeit, wie die Deutschen Grossbritannien sehen—the „German view“—was vor allem im Vorfeld und Nachgang des Brexit-Referendums im Jahr 2016 nachgefragt wurde.
2016 wechselte ich von der Welt zum Wall Street Journal, hatte ich doch schon lange die Ambition gehegt, bei einem internationalen Medium zu arbeiten, und das auf englisch. Beim Wall Street Journal in London schrieb ich über Konzernfinanzen, oder Corporate Finance, und interviewte CFOs, Treasurer und Controller. Brexit war auch hier ein großes Thema, wenngleich mehr aus amerikanischer Perspektive gesehen und mit der Frage verbunden, was es für U.S.-Firmen in Großbritannien und Irland bedeuten würde, wenn das United Kingdom, ein Brückenkopf in die Europäische Union, diesen Status verlieren würde. Auch die amerikanische Steuerreform, the 2017 Tax Cuts and Jobs Act, war lange Zeit Thema, spielten deutsche und britische CFOs doch mit dem Gedanken, vom niedrigeren Steuersatz zu profitieren und vermehrt in den USA zu investieren.
Einer der Gründe, für das Wall Street Journal arbeiten zu wollen, war der Hauptsitz des Unternehmens, in New York. Dort wollte ich schon immer einmal arbeiten. Die Beförderung meiner Chefin und ihre damit ausgeweiteten Kompetenzen machten den Umzug in den Big Apple im Jahr 2019 möglich. Ich blieb im selben Team, Corporate Finance, was ich nun, seit Anfang des Jahres auch leite, als Bureau Chief. Wir berichten vor allem über die Konzernfinanzen von grossen U.S.-Firmen im S&P 500. Ich schreibe gerne über Corporate Finance, weil sich praktisch alle wichtigen Entscheidungen eines Unternehmens in den Finanzen widerspiegeln und der CFO mit am Tisch sitzt.
Nun leben mein Mann Ben und ich seit über zwei Jahren in New York—eine spannende Zeit, wenngleich sie teilweise anders verlaufen ist als erwartet. Wegen der Pandemie war New York im vergangenen Frühjahr zeitweise wie ausgestorben, was sich im Sommer 2020 änderte. Seitdem fühlt sich New York für uns wieder relativ „normal“ an, was auch daran liegt, dass es hier, anders als in Europa, keine neuen Lockdowns gegeben hat. Unser New Yorker Büro, das seit März 2020 geschlossen war, ist seit September wieder geöffnet, auf freiwilliger Basis. Die Familie haben wir im Spätsommer endlich wieder gesehen, nach einem Jahr und acht Monaten. Das war mit Abstand die längste Zeit ohne die Familie, in den zehn Jahren, in denen ich jetzt im Ausland lebe.
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