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Musik hinter englischem Stacheldraht

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Von Norbert Meyn

Plakat „What a life“: Claire Chevalier
mit freundlicher Genehmigung von Paul Humpoletz Jr.

Unter den etwa 50.000 vor allem Jüdischen Flüchtlingen, die es aus Nazi-Deutschland nach England geschafft haben, waren etwa 400 professionelle Musiker. Ein Forschungsprojekt am Royal College of Music hat von 2019-2023 die Lebenswege einiger dieser Musiker genauer erforscht und das Gelernte in einer umfangreichen Webseite und einer mobilen Ausstellung zusammengefaßt. Mit viel Respekt und gespannter Neugier ging es vor allem darum, ihre Kompositionen wiederzuentdecken und ihre kreativen Leistungen zu feiern. Sie alle trugen zur Erfolgsgeschichte der klassischen Musikszene im Großbritannien der Nachkriegszeit bei und sind ein Beweis dafür, dass das Kulturleben durch Migration viel gewinnen kann.
Die Lebenswege dieser Musiker waren sehr unterschiedlich und oft von großer Mobilität geprägt. Hier nur zwei Beispiele: Der Komponist Mátyás Seiber (1905-1960) wurde in Budapest geboren, wo er das Ferenc-Liszt-Konservatorium besuchte Komposition bei Zoltán Kodály studierte. Im Jahr 1925 nahm er eine Stelle als Cellist auf einem Kreuzfahrtschiff in Amerika an, wo er den Jazz kennenlernte. Nach seiner Rückkehr wurde er von 1928 bis 1933 am Konservatorium Frankfurt Leiter der ersten Jazz-Abteilung an einer deutschen Musikhochschule. Im Jahr 1930 begann Seiber mit der Zwölftonkompositionstechnik zu experimentieren. Aufgrund der antisemitischen Verfolgung emigrierte er 1935 nach England, wo er ein äußerst produktiver und vielseitiger Komponist wurde, der sowohl gefeierte Kammermusik als auch Ballette, komische Opern und Filmmusik schrieb.

Hans Gál (1890-1987) studierte Komposition bei Eusebius Mandyczewski in Wien und lehrte ab 1919 an der dortigen Universität. In seinem Heimatland Österreich sowie in Deutschland war er ein erfolgreicher Komponist. 1929 wurde er Direktor des Mainzer Konservatoriums und kehrte nach Wien zurück, nachdem er 1933 von den Nazis seines Postens enthoben worden war. Von dort wurde er 1938 zur Emigration gezwungen und zog mit seiner Familie nach Großbritannien. Gál fand mit Hilfe des britischen Musikwissenschaftlers Sir Donald Tovey eine Anstellung in Edinburgh. Er komponierte bis zu seinem Tod im Jahr 1987 und schrieb mehr als die Hälfte seines Werks im Vereinigten Königreich. Seine Musik wurde in den letzten Jahren wiederentdeckt und ein Großteil auf CD eingespielt.

1940 wurde Gál, wie die meisten deutschen und italienischen Flüchtlinge in Großbritannien, als feindlicher Ausländer auf der Isle of Man interniert, wo er sein Tagebuch mit dem Titel »Musik hinter Stacheldraht« sowie die zweisprachige Revue »What a Life!« schrieb, eine Parodie auf das Leben in den Lagern an der Küste, wo die Möwen frei fliegen konnten, jüdische und andere Flüchtlinge aber in Pensionen hinter einem doppelten Stacheldrahtzaun festgehalten wurden.

Weitere Geschichten, story maps, Interviews, Noten und Aufnahmen finden Sie unter MUSIC, MIGRATION AND MOBILITY auf der Webseite des Royal College of Music.

Eindrücke von unserem ökumenischen Besuch der Ausstellung finden sich hier.

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