Verwendete Bibelstellen
Lesung: Gen 32,23-33
Evangelium: Lk 29,32-45
Liebe Schwestern und Brüder,
in der Nacht geschieht das Unerklärliche, das Unfassbare, das Geheimnisvolle;
das, was sich unserer Kontrolle, oft auch unserem Verständnis entzieht.
Der Schlaf, die Träume, sie führen uns jenseits des Bewusstseins.
Die Nächte offenbaren aber auch, was sonst verborgen ist;
lassen uns innerste Wahrheiten streifen und tiefe Wirklichkeiten berühren,
wovon die Bibel ja auch in zahllosen heiligen Nächten zu erzählen weiß.
In der Nacht am Jabbok allerdings
wird das Geheimnisvolle noch rätselhafter
und das Unerklärliche geradezu absurd.
Da sind zwei, sie kämpfen, keiner weiß warum, keiner sagt ein Wort.
Dann fallen Worte, aber Fragen und Antworten passen nicht zusammen.
Am Ende siegt keiner, beide sind verletzt;
und wir tappen völlig im Dunkeln,
verstehen weder den Angreifer, noch den Angegriffenen,
geschweige denn die Umstände, die sie hat aufeinandertreffen lassen.
Und wo die Bibel das Geschehen in gewohnt großartiger Kargheit skizziert,
da versuchen Rabbiner und Theologen, Künstler und Dichter bis heute,
Licht ins Dunkel zu bringen –
ohne jedoch die Bedeutung
jemals ganz durchschauen zu können.
Auch Hans Feibusch hat sich in seinem Zyklus alttestamentlicher Geschichten
dieser so rätselhaften Episode angenommen und ihr einen Akzent verliehen,
der eher ungewöhnlich und eigen ist, wie wir gleich hoffentlich sehen werden.
Aber beginnen wir mit Jakob: weiß Gott keine Lichtgestalt.
Sein Großvater Abraham, der Stammvater,
der einst auf Gottes Geheiß auszog, um ein großes Volk zu werden.
Sein Vater Isaak, das lang ersehnte Kind,
dessen Leben Gott erst forderte und dann verschonte.
Und nun in dritter Generation Jakob – der Betrüger.
Eher eine Enttäuschung, eine Peinlichkeit sogar.
Seinen Namen kann man mit „Fersenschleicher“ übersetzen.
Denn schon im Mutterleib soll er vergeblich die Ferse seines Zwillingsbruders Esau gepackt haben,
um sich das wichtige Erstgeborenenrecht zu sichern.
Später belügt er den Vater, betrügt den Bruder,
muss zu seinem Onkel fliehen, den er auch wieder betrügt.
Die Frau, die er liebt, lässt er stehen,
die, die man ihm in der Hochzeitsnacht unterschiebt,
akzeptiert er ohne sich darüber zu beschweren.
Die Bibel beschönigt nichts,
und wer alle seine Auftritte zusammennimmt, der kommt nicht umhin
einen eher oberflächlich dahinlebenden Menschen zu sehen,
der stets den leichten Weg und seinen Vorteil sucht,
der lieber davonläuft als für die Konsequenzen seiner Taten geradezustehen,
der weder große Ziele verfolgt noch irgendwelche Ambitionen hätte.
Als er irgendwann, viele Jahre später, in die Heimat zurück will,
zieht ihm sein Bruder Esau allerdings mit vielen Männern entgegen.
Jakob fürchtet sich vor der Auseinandersetzung – aus gutem Grund.
Er schickt Geschenke voraus, die Esau besänftigen sollen.
Seine Familie, Hab und Gut bringt er auf der anderen Flussseite in Sicherheit.
Und nun sitzt er da. Allein mit sich und seinem Leben. Und es wird Nacht …
als aus dem Dunkel ein Mann kommt und mit ihm zu kämpfen beginnt.
Nur wer ist er? … Was hat er vor? … Warum greift er Jakob wortlos an?
Schon in der rabbinischen Tradition gehen die Meinungen weit auseinander.
Er war ein Hirt sagen die einen, ein Zauberer die anderen, ein Weiser, ein Räuber; die meisten einigen sich schließlich und sagen: es war ein Engel, ein Bote Gottes.
Nur warum sollte ein Engel Jakob angreifen?
Um ihm Mut zu machen, sagen die gewitzten Rabbiner.
Wer mit einem Engel kämpfen kann, braucht Menschen nicht zu fürchten.
Der Kampf am Jabbok wäre somit eine Art Training für den nächsten Morgen.
Aber das erklärt immer noch nicht, warum Jakob nicht einfach (wie immer) flieht
oder den Angreifer zumindest ziehen lässt, als dieser den Kampf für beendet erklärt.
Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, zeigt Jakob in dieser Nacht Rückgrat.
Diesmal sucht er nicht den bequemsten Ausweg, sondern er ringt weiter,
will gesegnet werden: etwas Gutes soll gesagt werden/aus dem Kampf hervorgehen.
Ringt Jakob am Ende mit sich selbst? Mit seinem anderen Ich?
Mit dem Mann, der er sein könnte, der er aber nie geworden ist?
Dann wären wir Zeugen eines inneren Kampfes und Konflikts,
und einer Lebenswende, eines Neuanfangs, einer Reifung.
Fortan ist Jakob einer, der zu sich selbst und zu seiner Bestimmung gefunden hat,
wenn auch mit den Narben einer Vergangenheit, die ja nie einfach vergeht,
und den bleibenden Spuren des nächtlichen Kampfes in der Einsamkeit (Hüfte).
Wenn wir den biblischen Text allerdings ernstnehmen wollen,
dann hat Jakob nicht nur mit einem Mann oder Engel oder sich selbst gekämpft,
sondern mit keinem Geringeren als Gott selbst: Israel (Gottesstreiter) soll er heißen.
Abraham, Isaak, seine großen Vorfahren, sie hatten getan, was Gott ihnen auftrug.
Jakob aber, ausgerechnet er, stellt sich Gott entgegen und ringt mit ihm.
Oder andersherum: Gott lässt sich trotz allem auf diesen Menschen ein,
lässt ihn am Leben, mehr noch segnet ihn.
Dämmert uns langsam, welch ungeheuerliche Szene sich hier abspielt?
Lange vor jeder Aufklärung stellt Bibel selbst auf den ersten Seiten Gott in Frage,
und lässt den Menschen mit ihm ringen und – an ihm festhalten.
Vor ein paar Wochen habe ich im West End ein Theaterstück gesehen: Bad Jews.
Darin eine junge, penetrante, religiöse Frau (fast so unsympathisch wie unser Jakob)
die ihren jüd. Glauben gegen die Anwürfe der eigenen Familie zu verteidigen suchte.
Mit all den scheinbar überholten und untauglichen und nicht mehr zeitgemäßen
Sätzen der jüdischen Schrift und ihres Glaubens konfrontiert,
platzt es am Ende ebenso verletzt wie verzweifelt aus ihr heraus:
„Glaubst du wirklich, dass du der erste bist, dem das aufstößt? Der das infrage stellt?
Nein, das haben viele, viele Generationen vor uns auch schon getan. Aber sie haben trotzdem daran festgehalten. Willst du der erste sein, der all das sterben lässt?“
Ob nun vom Autor (Joshua Harmon) beabsichtigt oder nicht,
ich habe in der Haltung dieser Frau ein wenig von Jakob/Israel wiederentdeckt.
Sich auf Gott einzulassen, damals wie heute, ist weder bequem noch leicht,
es macht das Leben nicht einfacher, wie ein platter Vorwurf des Atheismus meint.
Im Gegenteil: Das ernsthafte Ringen mit Gott führt immer auch zu Verletzungen.
Am Jabbok. Im Garten Gethsemane. In Nazi-Deutschland. Im Landseer Studio.
Dort, in St John´s Wood, hat Hans Feibusch den Jakobskampf ins Bild gesetzt.
Bald 30 Jahre nach seiner Vertreibung aus der deutschen Heimat.
Nachdem er sich mehr als einmal angesichts der Schrecken von Hitler und Stalin gefragt hatte,
ob Gott nicht allliebend oder allmächtig ist, oder gar nicht existiert,
da hält sein Jakob an Gott nicht nur fest, sondern klammert sich förmlich an ihn.
Gott selbst, im himmlischen Blau, das wir schon von Mose und Rut kennen,
trägt unverkennbar die Züge einer Frau, in der Vorskizze sogar noch deutlicher.
Gott und Jakob, wie Mutter und Kind, tröstend der eine, Halt suchend der andere.
Ein Vorbild für jenen barmherzigen Vater, von dem Jesus später erzählen wird,
dass er das verlorene Kind mit offenen Armen empfangen wird.
Vor allem aber: Gott schwebt. Seine Füße berühren den Boden nicht.
Dazu muss man wissen, dass Feibuschs frühes Bild mit dem Titel „Schwebende“
von den Nazis 1937 ausgewählt und als „entartet“ in München ausgestellt wurde.
Es steht also am Beginn seiner Leidensgeschichte und seiner Gottesfrage.
Wenn nun Feibusch das „Schwebende“ viele Jahre später noch einmal aufgreift,
und es beim Kampf am Jabbok zu einem Attribut Gottes werden lässt,
dann ist das mehr als nur eine späte Genugtuung, ein Sieg über die Nazi-Barbarei.
Dann kommt hier auch Feibuschs Versöhnung mit seinem Schicksal,
mit seinem Gott zum Ausdruck, an dem er trotz Verletzung festhält.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Nacht am Jabbok war nicht einzigartig.
Vielleicht gibt es eine solche Nacht in jedem Leben.
Vielleicht muss es sie sogar geben.
Und auch wenn es weh tut:
Geben wir nicht auf, halten wir fest,
lassen wir die Nacht nicht ohne den Segen in der Morgenröte enden.
1 Kommentar
Wunderbar erklaert , Feibusch Jakob
Gemaelde Ausdruck seines Lebens in
der Nazi Zeit und wie Jakob,
Glaubens Zweifel und dann die
Jabbok Nacht, erloesende Versoehnung mit Gott.
Nicht nur diese Erklaerung,
sondern auch Jakob-relevanter
Bibelgeschichten von Adam und Eva,
Abraham und Isaak bis hin zu
Christus ganzer Leidensgeschichte.
Und. unser aller Jabbok Erfahrungen,
Zeiten des Zweifels wenn das Leben
kaum auszuhalten ist…… und Gottes
Naehe doch erkennbar ist.
Danke, Andreas – unterstützend und
hilfreich.