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Kirche im Gefängnis

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Von Winfried Kelkel

F. sitzt mir im Gesprächszimmer gegenüber, es laufen die Tränen. Vor einem Jahr hat er einen Menschen schwer verletzt. Ich erlebe F. in vielen Gesprächen und selten begegnet mir so viel Reue und ehrliches Bedauern über eine Tat und die Einsicht, dass man auf gewaltsame Weise keine Probleme lösen kann, ohne neue zu schaffen: die Trennung von Eltern und dem Kind aus einer früheren Beziehung, die Aufgabe des Berufs, den er zehn Jahre ausgeübt hat, die Freunde, die sich alle verabschiedet haben. Einige Jahre muss F. nun seine Freiheitsstrafe „verbüßen“.

Im Gefängnis ist man auf sich selbst zurückgeworfen. Natürlich gibt es Arbeit, Sport, Gottesdienste und für manche auch den sehr ersehnten Besuch von draußen – nur leider viel zu wenig und viel zu selten. Freitags, samstags, sonntags bekommt man um drei Uhr sein Abendessen auf die Zelle und der Vollzugsbeamte wünscht „Gute Nacht!“ bis zum nächsten Morgen um neun Uhr. Da bleibt viel Zeit, um über sich nachzudenken. Aber irgendwann kommt man allein auch nicht mehr weiter. Stumpfsinn und einfaches „Absitzen“ auf der Zelle gibt es natürlich auch.

Ob sich jemand seiner Schuld stellt, hängt von vielen Faktoren ab. Kann ich vor mir selber bestehen, wenn ich mir eingestehe, was ich getan habe? Wie gehen meine Familie und Freunde, die Beamten und Mitinhaftierten mit mir um? In einem „fehlerfreundlichen“ Umfeld kann ich mir eher meine Schuld eingestehen. Viele Straftäter sind selber gestraft gewesen mit ihren drogenabhängigen Eltern, mit den Partnern, die sie unterdrückt haben, mit den Verwandten, die sie missbraucht haben. Diese ganz oft nicht verarbeiteten, schweren Verletzungen bringen das Leben aus dem Gleichgewicht und führen oft auf die schiefe Bahn. Allein ist es vielen kaum möglich, das zu bewältigen und sich der eigenen Verantwortung zu stellen. Im Justizvollzug werden zwar auch Therapien vermittelt, Antigewalttrainings angeboten und in seltenen Fällen kommt es auch zu einem persönlichen Täter-Opfer-Ausgleich. Aber ob und in welcher Weise man sich öffnet und mitarbeitet, hängt ganz vom Einzelnen ab. Es gibt so viele Umgangsweisen mit den eigenen Fehlern wie Menschen. Die einen verdrängen und leugnen ihre Schuld bis zum letzten Tag der Haft. Andere bagatellisieren die schlimmsten Verbrechen. Wieder andere lassen überhaupt kein gutes Haar mehr an sich selbst. Und jedes Jahr setzen etliche Inhaftierte ihrem Leben ein Ende, weil es ihnen ohne Perspektive erscheint.

Die Gefängniskapellein der JVA Köln

Als Gefängnisseelsorger versuchen wir einfach da zu sein, wenn die alten Verletzungen aufbrechen, wenn der Haftalltag eine echte „Strafe“ ist.  Wir begleiten die Gefangenen, die zu uns kommen, wenn sie sich Durchblick in ihrem Leben und seinen schuldhaften Verstrickungen verschaffen wollen. Manchmal ist es hilfreich zu konfrontieren, manchmal zu ermutigen, immer möchten wir den ganzen Menschen sehen, nicht nur den Täter oder die Täterin. Wir haben es mit liebevollen Familienvätern, phantastischen Künstlerinnen, erfolgreichen Geschäftsleuten, tüchtigen Handwerkern und einfühlsamen Mitmenschen zu tun. Im seelsorglichen Einzelgespräch unter Schweigepflicht kann ein Schutzraum entstehen, in dem das Unsagbare gesagt und die tiefe Schuld eingestanden wird. Oder wo auch entdeckt wird, was man alles so kann, wer man sonst noch ist und wie man das Leben wieder „gut machen“ kann. Und man kann erfahren, dass man nicht allein gelassen wird, selbst wenn sonst kaum noch einer zu einem hält.

In der Gefängnisseelsorge beschäftigen wir uns mit den Tätern, aber die Opfer sind – ob ausgesprochen oder nicht – in den Gesprächen oft dabei. Es ist überhaupt wichtig, den Rahmen nicht außer Acht zu lassen. Natürlich hat ein Mensch Schuld, wenn er anderen Schaden zufügt. Aber was ist mit der Verantwortung einer Gesellschaft, wenn allein Leistung zählt und manche Menschen nur noch mit illegalen Drogen mithalten können? Wer hat Schuld,  wenn allerorten bestochen und hinterzogen wird und sich langsam ein fehlendes Unrechtsbewusstsein in vielen Schichten einschleicht?

Am Ende unserer Gottesdienste haben die Inhaftierten die Gelegenheit, eine Kerze anzuzünden. Wenn sie schweigend dastehen, in Gedanken oder im Gebet versunken, kann man innere Einkehr und Hinwendung zu Gott erkennen, dem sie sich und ihre Mitmenschen anvertrauen.

F. hat nach vielen Begegnungen um die Taufe gebeten. „Ich erlebe Euch Seelsorger und Kirche hier ganz neu und will dazugehören.“ Im Taufkurs hatten die Themen Schuld und Vergebung, Neuanfang und Erlösung einen sehr realen „Sitz im Leben“. Aber durch die Taufe alleine ist noch keinem Menschen geholfen. Spüren andere durch uns Gläubige eine Atmosphäre, in der sie sein können mit ihrer Schuld, eine Umgebung, in der ein Ausweg, eine gangbare Spur der Vergebung, der Wiedergutmachung sichtbar wird? Das ist zunächst eine Frage nach dem Umgang mit meiner eigenen Schuldhaftigkeit, und ob ich glauben kann, dass Gott mir vergibt. Und dann ist es auch die Frage, ob wir in Gesellschaft und Kirche den Menschen geeignete Hilfen bieten, ihr Leben wieder in die richtige Spur zu bringen.

Weiterführende Links:

https://gefaengnisseelsorge.net/weggesperrt-aus-den-augen-aus-dem-sinn

https://www.podknast.de/index.php

https://www.cbcew.org.uk/prisoners-sunday-2021/

 

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