Nachdem die Soldaten Jesus ans Kreuz geschlagen hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile daraus, für jeden Soldaten einen. Sie nahmen auch sein Untergewand, das von oben her ganz durchgewebt und ohne Naht war. Sie sagten zueinander: Wir wollen es nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte sich das Schriftwort erfüllen: Sie verteilten meine Kleider unter sich und warfen das Los um mein Gewand.
(Johannes 19, 23f)
Jesus wird entkleidet, er wird entblößt, bloß gestellt. Wir kennen die erniedrigende Szene aus den Lagern dieser Welt bis heute. Es geht nicht nur um eine physische Vernichtung. Die „Enthüllung“ soll demütigen und auch den allerletzten Schutz rauben, der Mensch soll auch innerlich gebrochen werden.
Jesus erträgt das – irgendwie. Aber sein Körper zieht sich zusammen, als beugte er sich dem demütigenden Schlag. Seine Augen sind offen und auf die gerichtet, die vor ihm stehen.
Es sind nicht länger die römischen Soldaten, die zwar die Habseligkeiten aufteilten, die Jesus am Leib trug, die aber doch das „durchgewebte Untergewand ohne Naht“ in seiner Unversehrtheit nicht zerschneiden wollten.
Es sind die Vertreter seiner Kirche,
die auch noch an seinem letzten Hemd zerren:
(1) Der orthodoxe Pope, der mit geschlossenen Augen,
andächtig die Tuchreliquie hält und (und wie eine Ikone) küssen möchte, weil sie ihm als „Beweis“ für die Menschheit Jesu dient.
(2) Der evangelische Pastor mit intellektuellem/aufgeklärten Blick,
der nur vorsichtig auf Tuchfühlung geht, es gar zurückzuweisen scheint, weil ihm das alles viel zu abergläubig ist und allein der Glaube an Christus zählt.
(3) Der katholische Bischof schließlich, der mit beiden Händen festhält, was ihm die überlieferte Tradition an (Glaubens-)Sicherheit gegeben hat, weil ihm ohne Rückbindung alles viel zu vage und zeitgeistgefährdet ist.
(4) Vom vierten sieht man nur die emporgestreckte Faust, die aus dem weißen Gewand eine blutrote Fahne gemacht hat, weil der konkrete Kampf Gottes eben seine Opfer kostet.
Die einen verinnerlicht, die anderen verkopft, wieder andere liturgisch würdevoll oder gesellschaftlich kampfesbereit, sie alle glauben im „wahren Christentum“ zu sein, bleiben aber doch vor allem bei sich,
und bringen das durchgewebte Gewand ohne Naht, das seit altesrher Symbol für die Einheit der Kirche und der Christen war, zum Zerreißen – wohl nicht umsonst in Form eines Kreuzes.
Der Streit der Kirchen und Konfessionen, die Spaltungen und Exkommunikationen entblößen Jesus und werden zu einem Kreuz für ihn und uns. Eins sollten wir alle sein, „eins wie Jesus mit dem Vater eins ist, damit die Welt glauben kann“ (Joh 17,20-23).
Die Kirchenspaltung ist ein Trauerspiel. Sie darf uns nicht egal sein, sie muss uns schmerzen. Wir müssen als Christen nicht alle gleich sein, aber wir müssen eins sein. Wir dürfen unterschiedliche Sichtweisen haben, verschiedene Traditionen pflegen, aber in der Nachfolge Jesu müssen wir zusammenstehen.
Es ist daher ein gutes Zeichen, wenn die deutsche Bischofskonferenz nun auch auch andere Konfessionen zur Teilnahme an unserer Kommunion einlädt, nicht leichtfertig und selbstverständlich, sondern jeden Gläubigen einzeln nach Selbstprüfung und persönlichem Verlangen. Denn wir sind die Kirche Christi – und nicht die eines Papstes oder einer Theologie. Und Christus schenkt sich allen.
Menschliches Versagen verfinstert immer wieder die „Sonne der Gerechtigkeit“. Gerade auch die Jünger Jesu lassen seinen Heiligenschwein schwarz erscheinen, wenn sie „nicht wissen, was sie tun“, anstatt auf ihn zu schauen und ihm zu folgen.
Aber wie die Korona bei einer Sonnenfinsternis die Urgewalt des verdeckten Sonnenfeuers ahnen lässt, so brechen auch hier hinter der dunklen Finsternis Strahlen hervor, die uns hoffen lassen, dass das göttliche Licht nicht erlischt.
Ob es lichter oder dunkler wird, entscheide auch ich.
Denn der entblößte Jesus schaut am Ende mich an.
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