„Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht,
kann nicht mein Jünger sein.“
(Lukas 14,27).
Das Kreuz ist ein Zeichen der Solidarität.
Jesus ist nicht der Einzige, der es trägt.
Er steht mitten unter ihnen, führt sie an,
die Leidtragenden der Welt.
Wie Kanonenrohre ragen sie ins Bild,
die Holzbalken mit ihren Jahresringen,
die nicht etwa von wachsendem Leben,
sondern von ausufernder Zerstörung erzählen.
Diese Zerstörung hat viele Gesichter.
Das des Afrikaners steht nicht zuletzt für Sklaverei und Apartheid.
Die Geschichte früherer Generationen zu verurteilen ist einfach,
sich der eigenen in aller Verstrickung zu stellen jedoch schmerzhaft:
An den Außengrenzen Europas blüht auch heute der Menschenhandel
und sorgt dafür, dass nur zu uns kommt, wer es sich leisten kann.
Zurückbleiben die Ärmsten und Hilflosesten.
Und unser gesellschaftlicher Diskurs ist geradezu besessen
von der Menschen-Trennung in Hautfarbe, Gender und Klasse.
Glücklich, wer da gerade die richtigen Kriterien erfüllt.
Sklaverei und Apartheid sind alles andere als Geschichte;
so einfach lässt sich das Leid nicht aus der Welt schaffen.
Nicht wegschauen, sondern hinschauen,
wie die Ordensschwester in der Tracht der Karmeliterinnen.
Nicht nur hinschauen, sondern tiefer schauen,
wie Edith Stein, die sich beim Eintritt in den Kölner Karmel
nicht zufällig den Namen Teresia Benedicta vom Kreuz gab.
Als Jüdin schaut sie auf ihren leidenden Bruder,
als Philosophin auf ihren unergründbaren Gott,
als Ordensschwester wird sie der eigene Kreuzweg
nach Auschwitz führen (1942).
Ihre andauernde Betrachtung aber
mündet in dem Werk „Kreuzeswissenschaften“,
das von drei zu durchschreitenden Nächten des (Ver-)Zweifelns erzählt:
In der ersten „Nacht der Sinne“
versagen die frommen Gebete und geistlichen Übungen.
Auch in der Schöpfung verliert sich die Spur Gottes .
In der zweiten „Nacht des Geistes“
kommen die Fähigkeit des Verstandes und jeglichen Denkens an ein Ende.
Auch mit Hilfe aller Einbildungskraft lässt Gott sich nicht länger fassen.
In der dritten „Nacht des Glaubens“ schließlich
zeigt sich der gewaltige und unüberwindbare Abstand zu Gott,
der den Menschen allein und wie geblendet in Finsternis zurücklässt.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“
können wir gerade noch rufen
und sind Christus so doch auch am nächsten.
Wenn alles Tun, alles Denken und aller Glauben fallen,
erweist sich der Sturz ins Nichts als ein Sturz auf Gott zu.
Wenn Gott von uns nicht mehr begriffen werden kann,
dann kann er uns ergreifen.
Die Seele, entleert oder befreit,
hat nichts zu tun, als in Empfang zu nehmen.
Noch während Edith Stein am letzten Kapitel schreibt,
wird sie verhaftet, deportiert und in die Gaskammern geführt
und ihr Glaube der äußersten Belastung ausgesetzt.
Mit ihr (und allen Opfern)
fällt Jesus ein zweites Mal.
„Nie wieder“ haben wir geschworen
und sind doch erneut Zeugen eines Massenmords an Juden,
dessen Echo auch durch die Straßen unserer Stadt hallt.
So leicht schaffen wir die Kreuze nicht aus unserer Welt.
Am Ende ist allein das Kreuz Christi
ein Grund zur Hoffnung
– weil Gott es trägt.
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