„Und seine Mutter bewahrte all diese Worte in ihrem Herzen.“
(Lukas 2,51)
Noch immer stehen wir unter dem Eindruck der Bilder aus Paris.
Die Kirche Notre Dame brennt. Die Nachricht wird europaweit geteilt.
Der Dachstuhl aus dem 13. Jhd. (100m lang, 40m breit) ist nicht zu retten. Wald wurde er genannt, weil 14 Hektar Eichenwald dafür verbaut wurden. Jetzt liegt er größtenteils am Boden, kaum mehr als ein Haufen Asche.
Weshalb wir heute am Karfreitag trotzdem nicht an einer der drei Stationen stehen, wo der Balken zu Boden fällt und Jesus unter dem Kreuz zusammenbricht, sondern vor diesem hier, hat damit zu tun, dass wie durch ein Wunder der Altar verschont blieb, und das Kreuz aufrecht und golden aus den Trümmern im Innern hervorragte.
(Titel „Evening Standard“ vom 16.04.19)
Frankreich gibt sich gerne als laizistisches Land, das 1905 die Trennung von Staat und Kirche per Gesetz erzwungen hat. Heute ist es tatsächlich weitgehend säkularisiert. Und trotzdem versammeln sich plötzlich zahlreiche Menschen an der Seine beten das „Gegrüßet seist du Maria“, den Rosenkranz, singen Marienlieder. Sie wenden sich an die Schutzpatronin des brennenden Gotteshauses, „Der Herr sei mit dir“, das wünschen sie Unserer Lieben Frau von Paris.
Überrascht heißt es am nächsten Morgen:
Frankreich besinnt sich seiner katholischen Wurzeln. Denn die Gesellschaft zerfällt in immer mehr Bevölkerungsgruppen, die sich zum Teil unversöhnlich gegenüberstehen – wie auch in anderen Ländern. „Archipel“ (Inselgruppe + Gewässer) hat der Politikwissenschaftler Jérôme Fourquet daher Frankreich kürzlich genannt. Im Niedergang des Katholizismus sieht er die wichtigste Ursache für die Auflösung des Zusammenhalts.
Kann unser Glaube (= das Kreuz) wieder zusammenführen?
Zumindest für einen Moment scheint das in Paris im Widerschein des zerstörerischen Feuers zu gelingen. In der großen Erschütterung tritt die eigene Befindlichkeit zurück.
Auch auf dem Bild unserer Kreuzwegstation finden zwei Menschen zueinander: Mutter und Sohn, die zusammengehören wie kein Zweites, und die doch durch Welten getrennt sind.
Der Sohn wird nicht vom Kreuz lassen, er hält es mit starken Händen fest, die Mutter, die ihm das Leben schenkte, muss ihn seinen Weg gehen lassen, ihre Hand reißt ihn nicht weg, sondern berührt die seine eher liebevoll.
Was haben sich Mutter und Sohn in dieser Stunde zu sagen?
Was kann man überhaupt sagen, angesichts des Leides, des Todes?
Der intime Moment, die Gesichter, bleiben unseren Augen verborgen,
allenfalls können wir in der Begegnung hinter dem Kreuz einen Lichtblick erkennen.
Diese Station ist eine der tröstendsten des ganzen Kreuzwegs.
Sie spricht in den Farben von rot und grün von Leidenschaft und Hoffnung. Christus nimmt das Kreuz in Leidenschaft für den Menschen auf sich; Maria steht ihm in guter Hoffnung auf das Leben bei.
Vielleicht geht nicht mehr als diese Berühung, vielleicht braucht es auch nicht mehr: Gottes Leidenschaft für den Menschen trifft auf unsere behutsame Hoffnung.
Das Kreuz in Notre Dame ist stehengeblieben. Wie durch ein Wunder sagen sie. Wirklich wunderbar wäre es, wenn die Menschen dahinter wieder zusammenfänden. Schließlich eint sie alle das gleiche unwiderrufbare Schicksal.
Eine Kirche ist kein Steinhaufen. Aber sie ist auch nie Selbstzweck.
Gerade die großen gotischen Kathedralen wurden als Hülle für Reliquien gebaut: So werden im Kölner Dom die Gebeine der Hl. Drei Könige verehrt, in Notre Dame die Dornenkrone Jesu.
Diese Reliquien wurden im Mittelalter als „Glutkern“ (vgl. Beuys) bezeichnet, Energiezentrum würden wir vielleicht heute dazu sagen.
Der Seelsorger der Pariser Feuerwehr und seine Kollegen haben ihr Leben riskiert, und haben die Dornenkrone aus den Flammen gerettet.
Wenn es uns ebenso gelingt, den Glutkern unseres Glaubens zu retten, wenn wir für den Kern unseres Glaubens wieder glühen lernern, und was sollte der Kern anderes sein als Kreuz und Auferstehung, also die Hingabe Gottes und das Leben des Menschen, dann mag die Hülle vergehen, sie wird wieder auferstehen.
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