Typisch deutsch: Zweimal alles verloren.

Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind,
da bin ich mitten unter ihnen.

Wie wir wurden, was wir sind.

St. Bonifatius – London (Whitechapel)

Die Ursprünge der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde in London reichen bis ins späte 18. Jahrhundert zurück. Gerade erst hatte das Parlament im „Catholic Relief Act“ von 1791 wieder eine freie Glaubensausübung und den Bau auch katholischer Kirchen gebilligt, da sammelten die Priester Johannes Becker (Schweiz) und Franz Muth (Österreich) auch schon die deutschsprachigen Einwanderer im Umkreis der Virginia Street Chapel in Wapping im Londoner East End.

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Docklands und Zuckerraffinerien des Viertels waren hart, und so gelang es erst 1809 im Haus 22, Great St. Apostle Street in der City, eine eigene „German Chapel“ einzurichten.

Neben den Aposteln Petrus und Paulus wurde auch der Heilige Bonifatius als Namenspatron gewählt. Dieser war einst in Devon auf den Namen Wynfrid getauft worden, zog dann aber als Missionar Anfang des 8. Jahrhunderts nach Germanien, wo er vom Papst zum Bischof von Mainz bestellt wurde und den Namen Bonifatius erhielt.

Bis heute bildet das Patronat des englischen Heiligen, der später auch den Ehrentitel „Apostel der Deutschen“ erhielt, einen wichtigen Brückenschlag zwischen beiden Ländern.

Ein Neubau und ein Kompromiss

Da der Zuzug deutschsprachiger Einwanderer im 19. Jahrhundert unvermindert anhielt, plante man zunächst einen imposanten Kirchenneubau in Whitechapel, der über 1.500 Gläubigen Platz bieten sollte.

Die Pläne hatte E. W. Pugin entworfen, der älteste Sohn A. Pugins, des Innenarchitekten von Westminster Palace. Doch der ambitionierte neugotische Bau konnte nie verwirklicht werden. Stattdessen erwarb man 1861 die bereits auf dem heutigen Gelände der Gemeinde stehende „Zion Chapel“ der Methodisten.

Der große ovale Kirchenraum, der zuvor auch als Zirkus und Reithalle gedient hatte, wurde in nur einem Jahr hergerichtet und von Cardinal Wiseman (Westminster) eingeweiht.

Der erste Neuanfang

Allerdings hatte im Laufe der Jahre die Statik des Gebäudes derart gelitten, dass am 30. April 1873 das Gewölbe einstürzte und ein vollständiger Neubau nötig wurde, der aufgrund großer Anteilnahme und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung schon 1875 fertiggestellt werden konnte.

Die rege Bautätigkeit auch in den folgenden Jahren belegt das ständige Wachstum der Gemeinde. Es wurde ein Pfarrhaus errichtet (1877) und eine Grundschule eröffnet (1879).

Bereits 1885 musste die Kirche erweitert werden und erhielt einen Turm, deren Glocken in der benachbarten „Whitechapel Bell Foundry“ gegossen wurde, aus der auch Big Ben (London) und Liberty Bell (Philadelphia) hervorgingen.

Um die Jahrhundertwende prägten so viele Deutsche das Viertel, dass es im Volksmund auch „Little Germany“ genannt wurde. Ganze Industriezweige wie etwa das Fleisch- und Backgewerbe waren fest in deutscher Hand.

Wenig Segen von oben.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 traf die Gemeinde daher umso härter. Deutsche wurden interniert oder des Landes verwiesen. Immer wieder kam es auch zu antideutschem Aufruhr und zahlreichen Geschäftsplünderungen.

Eine Zeppelin-Bombe zerstörte dann 1917 auch noch das Dach der Kirche. Aber die Gemeinde überstand den Krieg, konnte das Kirchendach bald reparieren und blühte wieder auf.

Als man 1925 alle Schulden abgetragen hatte, war auch endlich die gesetzliche Voraussetzung für eine offizielle Konsekration der Kirche gegeben, die unter Vorsitz des Kölner Kardinal Schulte gefeiert wurde.

Mit wachsendem Wohlstand zog es viele Gemeindemitglieder auch in andere Stadtteile Londons. Doch St. Bonifatius in Whitechapel blieb das geistliche Zentrum der Gemeinde – bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

 

Alles auf Anfang.

1940 flog die Deutschen Luftwaffe zahlreiche Angriffe auf die Industrieanlagen des East Ends und zerstörte dabei auch Kirche und Anwesen der Gemeinde.

Trotzdem trafen sich die verbliebenen Getreuen den ganzen Krieg über inmitten der Ruine, um sonntags die Messe zu feiern. Erst nach 1945 konnte in den Räumen der ehemaligen Schule eine Notkapelle und ein Saal eingerichtet werden, die der Gemeinde auch wieder einen geschützten Raum für ihre Gottesdienste und Zusammenkünfte bot.

Die Zukunft – zu modern.

Die Nachkriegsjahre waren erneut von einem verstärkten Zuzug aus deutschsprachigen Ländern gekennzeichnet. Ehemalige Kriegsgefangene zog es nicht in das zerstörte Deutschland zurück und junge Frauen kamen nach England, um hier vor allem im Handel oder als Hausangestellte und Krankenhausschwestern Arbeit zu finden. Die Planungen für eine neue Kirche aber gestalteten sich schwierig.

Der Pallottiner Pater Felix Leushacke, der die Gemeinde von 1952-1986 leitete, tendierte zu einem modernen Kirchenbau, so wie sie in großer Zahl in Deutschland in den 50er Jahren entstanden.

Doch der Entwurf des befreundeten Architekten T. Hermann von 1954, der so gar nicht den traditionellen katholischen Prozessionskirchen entsprach, stieß auf englischer Seite nur auf wenig Gegenliebe.

Die Diözese Westminster, in deren Treuhand sich das Anwesen seit 1919 befand, brachte immer wieder Einwände vor, so dass in einer langen Planungsphase zahlreiche Kompromisse eingegangen werden mussten.

Nach den Plänen von Plaskett Marshall & Partners, auf die man sich letztendlich geeinigt hatte, wurde schließlich in nur einjähriger Bauzeit die neue St. Bonifatius Kirche errichtet und am 13. November 1960 von Cardinal Godfrey (Westminster) und Weihbischof Cleven (Köln) eingeweiht.

Aus finanziellen Gründen verzichtete man auf eine Unterkellerung und entschied sich stattdessen für den markanten Kirchturm, nicht zuletzt auch der alten Glocken wegen, die als einziges Relikt beide Weltkriege überlebt hatten.

80 Jahre stabil und zeitlos.

Für die Gestaltung des Innenraumes zeichnete vor allem der aus Devon stammende R. J. Lloyd verantwortlich.

Für die Rückseite des symmetrisch strengen und fast schmucklosen Kirchenschiffs schuf er ein farbenfrohes Fenster, dass die Gottesmutter Maria inmitten der Apostel während des Pfingstereignisses (Apg 2) zeigt.

Während seine Kanzel, die auf nicht erhaltenen Schiefertafeln die Symbole der vier Evangelisten thematisierte, aufgrund der Liturgiereform 1970 weichen musste, fanden seine schmiedeeisernen Kommunionbänke als Wandschmuck hinter dem Altar einen neuen Platz.

Dort spiegeln sie bis heute biblische Motive aus den Psalmen (Ps 42), den Evangelien (Joh 2) und der Passion (Mk 15). Auch der Ambo, der die Verkündigung im Sinne Jesu als Aussaat des Wortes Gottes illustriert (Mt 13), sowie die Tabernakelleuchte stammen von Lloyd.

Lediglich sein Entwurf für das Altarbild wurde abgelehnt, und die Arbeit H. Reul aus Kevelaer übertragen. Seitdem thront unübersehbar ein Christus in der ikonographischen Pose des Pantokrators an der Stirnseite des Kirchenschiffes. Zu seinen Füßen runden auf der linken Seite der predigende Bischof Bonifatius, sowie ihm gegenüber Stellvertreter der Gemeinde, das Sgrafitto ab.

Auch der Altar selbst, sowie das Taufbecken, beide aus grünem Marmor, stammen von Reul.

Weitere Arbeiten in der Kirche stammen aus der Holzschnitzerei Lang Selig Erben in Oberammergau (Kreuzweg unterhalb der Orgelempore/11 Stationen von 1912, 3 Stationen nach 1945 ersetzt), der Goldschmiede Wilhelm Polders in Kevelaer (Altarkreuz, Kerzenständer 1960), der Orgelbauwerkstatt Romanus Seifert & Sohn in Köln/Kevelaer (Orgel 1965) und jüngst vom Priester und Künstler Sieger Köder (Nachdruck Kreuzweg im Kirchenschiff 1987).

Die Mondsichelmadonna ist die Nachbildung der Gebrüder Wehling eines rheinischen Originals von ca. 1600.

St. Bonifatius, 2017 unter Denkmalschutz gestellt, dient der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde in London weiterhin als Zentrum, auch wenn sich die Gemeindemitglieder inzwischen über den ganzen Großraum der Stadt verteilen.

Das angrenzende Wynfrid House („Bed, Breakfast und Geborgenheit“) dient nicht nur als Gemeindezentrum, sondern ist als Hostel auch Anlaufpunkt für Gäste aus aller Welt.

St. Thomas Aquinas – Ham

Im Zusammenhang mit der Gründung der Deutschen Schule London 1971 in Richmond haben sich immer mehr deutsche Familien im Südwesten Londons angesiedelt.

Darunter auch viele, die sich für deutschsprachige Gottesdienste und kirchliche Angebote interessierten. Die englische katholische Gemeinde von St. Thomas Aquinas bot ihre Zusammenarbeit und Räumlichkeiten für Gottesdienste und Zusammenkünfte an, so dass sich Ham inzwischen als zweiter Standort der Gemeinde fest etabliert hat.

Der gewachsenen Bedeutung entsprechend lebt zur Zeit auch eine Seelsorgerin vor Ort, um als direkte Ansprechpartnerin zu dienen.