Verwendete Bibelstellen
Lesung: Gen 22,1-13.19
Evangelium: Mt 9,9-13
Liebe Schwestern und Brüder,
Hans Feibusch war Mitte dreißig und am Beginn seiner Karriere,
als er das Wüten der Nazis am eigenen Leib zu spüren bekam (1933):
Er könne nach Hause gehen und seine eigenen vier Wände bemalen,
würde aber nie und nimmer mehr wieder etwas ausstellen können,
so drohte man ihm öffentlich und diffamierte seine Kunst als „entartet“.
Sich und sein Leben rettete Feibusch umgehend nach England,
aber da man hier zu dieser Zeit mit moderner Kunst im Allgemeinen
und deutscher Kunst im Speziellen nicht allzu viel anfangen konnte,
musste er sich mit Plakaten für die Londoner U-Bahn über Wasser halten,
was einem Todesstoß seiner künstlerischen Ambitionen gleichkam.
So jedenfalls muss es der junge Mann Feibusch empfunden haben,
denn etwa zur gleichen Zeit malt er ein Bild von der Bindung Isaaks,
das an Dramatik und Brutalität kaum zu übertreffen ist:
der junge Isaak liegt auf den Holzscheiten,
die Glieder und der Kopf hängen zu Boden,
der Hals überstreckt, der Mund schmerzverzerrt offen.
Abraham hält mit der einen Hand Isaaks Kehle fest gedrückt,
mit der anderen, die das Messer hält, holt er bereits aus,
bevor der Engel ihm gerade noch Einhalt gebieten kann.
Ganz in schwarz/weiß gehalten sind selbst die Kontraste hart.

Es braucht nicht viel Fantasie um sich vorzustellen,
dass Feibusch in Isaak eine biblische Identifikationsfigur fand,
wo er sich und seine Kunst doch selbst auf dem Altar der Weltpolitik
ohnmächtig und wehrlos ausgeliefert und geopfert sah.
Wo das Bild den Vorwurf der Ungerechtigkeit geradezu vorwurfsvoll herausschreit,
konnte Feibusch sein Unverständnis in Worten später nachdenklicher formulieren:
„Manchmal im Anblick der schrecklichen Dinge,
die Hitler und Stalin zu vollbringen erlaubt waren,
packt mich ein kaltes Grausen: ist Gott nicht alliebend?“
Was uns unmittelbar zum Kern der Erzählung von Isaaks Bindung führt.
Es ist eine ungeheuerliche Geschichte, die nach Erklärung verlangt.
Aber der Text ist provozierend nüchtern und erklärt rein gar nichts.
Er schildert die Abläufe, als ob sie eine Selbstverständlichkeit wären.
Dabei spielt sich hier ein Drama ab, bei dem alles auf dem Spiel steht.
Was die Geschichte für uns so unerträglich macht ist die Tatsache,
dass das religiös so erprobte Schuld-Sühne Schema hier nicht greift:
Gäbe es eine große Schuld Abrahams, eine unverzeihliche Übertretung Isaaks,
ja dann, dann wäre die Geschichte immer noch nicht schön,
aber man verstünde: Mit Gott ist eben nicht zu spaßen.
Doch Abraham ist ein aufrechter Mann, ein Verbündeter Gottes.
Gott habe ihm sogar viel zu verdanken meint eine jüdische Legende,
denn vor Abraham hätte Gott nur im Himmel geherrscht,
und erst er hätte seinen Namen auf der Erde ausgebreitet.
Abraham war auch nicht zu feige, mit Gott zu feilschen.
Denken wir etwa an Sodom und Gomorrha wo Abraham bittet,
die Städte um der wenigen Gerechten willen doch zu verschonen.
Warum war er bereit, für die Fremden einer verruchten Stadt zu tun,
was er für seinen eigenen Sohn nun nicht tut: Gott um Gnade zu bitten?
Nur: Warum muss man Gott überhaupt bitten?
Hatte er nicht selbst verheißen,
dass er Abraham zu einem großen Volk
und seine Nachkommen zahlreich machen werde?
Was gilt denn sein Wort noch,
wenn er sich mit der Aufforderung zum Kindesopfer
nicht nur als grausamer und unmenschlicher Gott erweist,
sondern auch ohne jeden Anlass seine eigene Verheißung Lügen straft?
Denn ohne Isaak, keine Nachkommen und folglich auch kein großes Volk.
Ohne Isaak ist nicht nur Abrahams Familie am Ende, sondern auch Gott.
Warum sollte man noch auch nur einem seiner Worte Glauben schenken?
Das Johannesevangelium wird später sagen:
„Am Anfang war das Wort. Und Gott war das Wort!“
Wenn sein Wort aber Lüge ist, dann ist er selbst auch Lüge.
Somit steht mit der Bindung Isaaks wirklich alles auf dem Spiel:
Das Leben Isaaks, der Glaube Abrahams, die Wahrheit Gottes.
Man mag sich gar nicht ausmalen,
wenn die Geschichte anders als gut ausgegangen wäre.
Oder hätte sie gar nicht anders als gut ausgehen können?
Einleitend heißt es: Gott wollte Abraham nur auf die Probe stellen.
Und gemeinhin denken wir, es ginge dabei um den unbedingten Gehorsam,
der nach der Devise „der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen“
hier bewiesen werden müsste – und ja auch bewiesen wird.
Nur: Warum lässt sich dann nach erfolgreich bestandener Probe
Gott durch einen Engel vertreten und lobt Abraham nicht vielmehr selbst?
Müssten beide jetzt nicht ihren unerschütterlichen Bund zusammen feiern?
Jüdische Gelehrte wittern in diesem Umstand:
Gott ist alles andere als froh. Und die Probe im Grunde gescheitert.
Gott habe nicht den Gehorsam testen wollen,
sondern ob Abraham inzwischen verstanden habe,
dass er anders als andere Götter keine Menschenopfer will.
Wir wissen heute, dass es in Ur, der Heimat Abrahams,
tatsächlich Menschenopfer zur Besänftigung der Götter gegeben hat.
Demnach hätte Gott testen wollen,
ob er Abraham nicht nur erfolgreich aus dem alten Land,
sondern auch aus dem alten Denken herausgeführt hat;
und er hätte sich seinen Widerspruch, seinen Widerstand geradezu gewünscht,
weil er bewiesen hätte, dass Abraham ihm allein als dem Gott des Lebens folgt.
Er hätte sich gefreut wie ein Vater sich freut,
dessen Sohn ihn erstmals beim Spiel besiegt,
oder der ihn im Wettstreit der Argumente bezwingt.
Es hätte die Stärke und Mündigkeit Abrahams bewiesen.
Doch Abraham leistet keinen Widerstand, erhebt keinen Einspruch, spricht kein Wort.
Die Probe läuft ins Leere. Gott bleibt die Freude versagt. Er muss sich zurückziehen.
Noch kühner ist die Vorstellung, dass Abraham den Spieß hier einfach umdreht
und nun seinerseits Gott auf die Probe stellt und ihn quasi wortlos herausfordert:
Wirst du es wirklich so weit kommen lassen, Gott?
Weißt du nicht, dass du dir damit dein eigenes Grab schaufelst?
So sicher sind sich Abraham und Isaak ihrer Sache,
dass es Gott einfach nicht zum Äußersten kommen lassen kann,
dass sie laut einer anderen Legende sogar Hand in Hand den Berg besteigen.

Und genauso sehen wir es heute auch in unserer Kirche.
Rund 40 Jahre nach seinem ersten Bild von der Bindung Isaaks
wählt Feibusch nicht länger den dramatischen Moment der Opferung,
sondern den ruhigen, aufrechten und bestimmten Gang zweier Menschen,
die sich gegenseitig in dem Vertrauen stützen,
dass Gott nicht ihren Tod will; ihn nicht wollen kann.
Entsprechend warm sind die gewählten Farben.
Wo der junge Künstler in Isaak aufbegehrend sein Leid reflektierte,
da scheint der ältere Frieden mit dem Gott seiner Väter gemacht zu haben,
der einem zwar das Angesicht des Todes nicht erspart,
der einem aber letztlich vor dem Abgrund des Todes rettet.
Mühelos lassen sich Jesus und sein Evangelium hier anschließen:
Ausdrücklich heißt es: Gott will keine Opfer. Sondern Barmherzigkeit.
Auf Schuld folgt bei Jesus nicht Sühne – sondern Umkehr!
Und sein Tod am Kreuz bedeutet nichts anderes
als das Ende und die Sinnlosigkeit jeglichen Opfers.
Denn was sollte ein menschliches Opfer noch bringen,
was Gottes eigenes Opfer nicht schon längst bewirkt hat.
Zu glauben, Gottes Opfer überbieten zu können,
wäre absolut vermessen und geradezu absurd.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Motive und Beweggründe aller Beteiligten
in der Erzählung von Issaks Bindung bleiben Vermutung.
Vielleicht ist der Text aber auch bewusst so karg und offen gehalten,
dass er mit dem eigenen Leben (wie bei Feibusch)
oder mit den eigenen Gedanken (wie bei den jüdischen Gelehrten)
verbunden, angereichert und fruchtbar gemacht werden kann.
Am Ausgang der Erzählung ändert keine Variante etwas.
Und ich wünschte: wer auch immer meint, heute noch seinen Gott so zu verstehen,
dass er ein Menschenopfer, das eigene oder ein anderes, will oder gutheißen könnte,
dass der die Stimme des Engel des Herrn vom Himmel deutlich und klar hört,
die Stimme, die nun schon seit den Tagen Abrahams und Isaaks ertönt, und sagt:
„Streck deine Hand nicht gegen deinen Nächsten aus und tu ihm nichts zuleide!“.
Allein das – ist Gottes Wille.
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