Verwendete Bibelstellen
Lesung: 1 Sam 17
Evangelium: Joh 15
Liebe Schwestern und Brüder,
Erinnert ihr euch noch an Naomi, Rut und Orpa?
Naomi wollte in ihre Heimat nach Betlehem zurückkehren,
und ihre beiden nichtjüdischen Schwiegertöchter wollten ihr folgen.
Dreimal versucht Naomi sie davon abzuhalten.
Rut aber lässt sich nicht abwimmeln und bleibt bei ihrem Entschluss.
Orpa hingegen wird „schwach“, verlässt die beiden und geht wieder zurück.
Und während die Geschichte Ruts weitererzählt wird (bis zum Stammbaum Jesu),
verläuft die von Orpa im Sande – noch nicht einmal ihr Name taucht mehr auf.
Es ist wie so oft in der Bibel: Menschen stehen an Kreuzungen und Schwellen,
und wenn sie „falsch abgebogen“ sind, hört man von ihnen nicht mehr viel.
Trotzdem wüsste man doch zu gern, was aus dem „Reichen Jüngling“
oder dem älteren Sohn des „Barmherzigen Vaters“ geworden ist.
Da rabbinische Erzählkunst um die Neugierde der Menschen weiß,
gibt es eine interessante Weitererzählung von Orpas Geschichte im Talmud.
[Sammlung von rabbinischen Auslegungen biblischer Texte, hier: Sotah 42b]
Danach kehrte Orpa nicht nur um und verließ ihre Freundinnen,
sondern wandte sich auch wieder vom jüdischen Glauben ab.
Und mit einem ganzen Bataillon von Soldaten zeugt sie einen Sohn – Goliat.
Und weil es der „Zufall“ so will, ist Rut in der Bibel die Urgroßmutter von David.
Mit David und Goliat treffen also die Nachfahren der beiden Frauen aufeinander
und im Nachhinein wird uns noch einmal deutlich vor Augen geführt,
an welch entscheidender Wegkreuzung die drei Frauen damals standen,
und was aus ihren Entscheidungen wurde.
[Deshalb hängen beide Bilder in unserer Kirche auch zusammen
und müssen hebräisch von rechts nach links gelesen werden]
David und Goliat – unterschiedlicher könnten sie nicht sein.
Der eine ein Hirtenjunge, der andere ein Mannsbild von Soldat;
der eine geübt mit Hirtenstab und Harfe, der andere mit Speer und Schild.
Aus dem Riesenunterschied wurde der Riese Goliat.
Und nicht nur er war zum Fürchten.
Die Philister kamen als Seefahrervolk übers Mittelmeer
und hatten schon Bronzeschwerter und -schilder.
Wie oft wurde das geradezu ehrfürchtig-schaudernd in der Lesung betont.
Hinzu kamen noch Speerspitzen aus Eisen,
so dass sie Israel waffentechnisch weit überlegen waren.
Kein Wunder also, dass man vor ihnen große Angst hatte,
und alle vor Goliat erschrocken flohen, sobald er sich vor ihnen aufbaute.
Alle – bis auf einen, der im Heerlager eigentlich gar nichts zu suchen hatte.
Er war auf Geheiß seines Vaters gekommen, um Käse und Brot zu bringen.
Aber letztlich brachte er in jugendlicher Unbedarftheit eine ganz andere Stärkung.
Die Verhöhnung Goliats, 40 Tage lang, was natürlich eine symbolische Zahlt ist
[4 = Ganzheit, Vollständigkeit (4 Jahreszeiten/Himmelrichtungen/Elemente x10],
war total und galt nicht nur den Kriegern sondern ganz Israel, auch ihrem Gott.
Und genau das, so haben wir es eben gehört, brachte David auf
und ließ ihn furchtlos, ja blind für die Realitäten, in den Kampf ziehen.
Ausgerüstet nur mit dem, was er hatte und kannte.
Einer Steinschleuder, die harmloser klingt als die tödl. Waffe die sie tatsächlich ist;
seiner Erfahrung auf dem Hirtenfeld, wenn er sich wilden Tieren entgegenstellte;
und nicht zuletzt einer riesigen Selbstgewissheit, dass Gott ihm beistehen werde.
Und damit, so könnte man auch sagen, stehen sich nun zwei Riesen gegenüber:
der eine riesig an Kraft und Waffengewalt; der andere riesig an Gottvertrauen.
Ich sage zwei Riesen, aber gemeint sind auch zwei Weltanschauungen.
Wir wissen wer gesiegt hat. Und wir hören es in der Regel gerne.
Wer liebt sie nicht, die Geschichte von einem Underdog,
der gegen alle Wahrscheinlichkeit das Unmögliche möglich macht.
Von alten Lebensweisheiten wie „Hochmut kommt vor dem Fall“,
bis zu heutigen Lebensratgebern wie „Glaub an dich und alles ist möglich“,
spiegelt sich unsere Erzählung durch die Jahrhunderte nicht ohne Grund.
Aber ich halte sie auch für brandgefährlich und verführerisch.
Am einfachsten ist es noch, wenn man die Geschichte spiritualisiert.
Dann steht Goliat für die eigenen Dämonen und Ängste, denen wir ausgeliefert sind,
und denen wir uns dann mit Gottes Hilfe stellen und die wir besiegen können,
alleine aus innerer Kraft, ausgerüstet nur mit dem was wir haben und können,
denn eine fremde Rüstung, die nicht passt,
eine die nur äußerlich aufgesetzt wird,
taugte schon bei David nicht.
Und eine solch persönliche Ermutigung ist ja auch nicht falsch.
Aber hier wird ausdrücklich auch ein militärischer Sieg
„im Namen des Herrn“ errungen und gefeiert.
Für Gott und mit Gott in den Krieg.
Und wie auch immer die Umstände, der Sieg ist unser.
Wir alle wissen welche blutige Spur dieses Verständnis
durch die Menschheitsgeschichte hinterlassen hat.
Und es bis heute immer noch tut.
Die Hamas, nichts anderes als ein Todeskult, ist da nur ein Beispiel.
In Artikel 7 ihrer Charta steht für jeden nachlesbar:
„Wir freuen uns und warten darauf, die Verheißung Allahs zu erfüllen,
denn der Prophet Allahs hat gesagt: Das Ende wird nicht kommen,
bis die Muslime gegen die Juden kämpfen und sie töten werden;
und wenn die Juden sich unter einem Stein verkriechen
oder hinter einem Baum verstecken, dann wird der Stein oder der Baum sagen:
Du Muslim oder Diener Allahs, hinter mir steht ein Jude. Komm und töte ihn.
Nur der Baum Gharqad wird es nicht sagen. Denn er ist der Baum der Juden.“
Dass das nicht nur schwülstige Lyrik ist, sondern bitter ernstgemeint,
haben wir, nein, hat vor allem Israel vor zwei Wochen erleben müssen.
Niemand kann sagen, er hätte es nicht wissen können.
Das war Terror und Mord mit Ansage – im Namen Allahs.
Wenn es je eine Lästerung des Namens Gottes gab, dann ist es diese.
Das ist nicht der Gott, auf den sich die drei abrahamitischen Religionen berufen.
Und ich wünschte, mehr Muslime würden das auch deutlich bekennen,
als sich als Opfer in diesem Konflikt zu stilisieren und herauszureden.
Natürlich, der Konflikt zwischen Israel und Palästina hat eine Vorgeschichte,
und eine Lösung des Konflikts muss diese Geschichte aufarbeiten/berücksichtigen;
aber an diesem Punkt, dem Abschlachten von Menschen im Namen Gottes,
kann es kein „Ja, aber …“ geben. Sondern nur ein „Nein“!
Dem Todeskult und Vernichtungswahn, dem sich Hans Feibusch und seine Generation ausgesetzt sahen, waren die deutschen Nationalsozialisten.
Sein Goliat trägt unverkennbar die Züge des arischen Herrenmenschen.
Und das fruchtbare Grünland der Mütter hat sich blutrot verfärbt.
Gemalt knapp 30 Jahre nach Kriegsende
wählt er jedoch nicht den triumphalen Moment der Niederstreckung Goliats,
sondern wie zur Mahnung den vorherigen Verweis Davids auf Gott.
Die Steinschleuder in seiner linken Hand erkennt man nur mit Mühe,
den gen Himmel gestreckten Zeigefinger dafür umso deutlicher.
Würden die Menschen, und das schließt die betont Frommen mit ein,
wirklich auf Gott hören, von den Zehn Geboten bis zur Bergpredigt,
die Welt wäre ein friedlicherer Ort.
Ach ja, die Bergpredigt. Ich weiß, sie spricht von Feindesliebe.
Jesus, aus dem Hause und Geschlechte Davids, fordert sie von uns.
Als persönliche Geisteshaltung ist sie groß
(„Simon, steck dein Schwert in die Scheide“),
aber der vorschnelle Aufruf an die Opfer ist pervers.
Das Gebot der Feindesliebe ist kein Freifahrschein für Bullies und Aggressoren.
Sie ist nicht das Zementieren von Unrecht, sie verlangt kein Ausharren im Leid,
sie versagt nicht die Abwehr und den Widerstand und den eigenen Lebensschutz.
Menschenverachtende Angriffe können niemals
mit dem Evangelium gerechtfertigt werden,
dem es doch in jeder Faser gerade darum geht,
Gebeugte aufzurichten und Leidtragenden beizustehen.
Es war Feindesliebe,
als die polnischen Bischöfe nach dem Krieg den deutschen die Hand reichten;
Es war Feindesliebe,
als Bischof Tutu mit der Wahrheitskommission die Apartheid Südafrikas überwand;
aber es ist keine Feindesliebe,
wenn man die Hamas, ihre Schergen und Sympathisanten schalten und walten lässt.
Feindesliebe greift da, wo sie blinde Rache oder Vergeltung verhindert;
nicht aber da, wo man auf eine Kultur des Todes und der Vernichtung stößt.
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ich unsere beiden Bilder hier zusammensehe,
wenn ich von Rut, Orpa und Naomi, sowie von David und Goliat lese,
wenn ich allein die Landschaften vergleiche, in die Feibusch die Szenen gesetzt hat,
frage ich mich: Warum nur lassen wir es immer wieder soweit kommen?
Wie anders hätte die Geschichte verlaufen können,
wenn Orpa sich nicht abgewendet und Naomi einladender gewesen wäre,
wenn sie zusammengeblieben wären und sich weiterhin unterstützt hätten?
Nur wenn wir die Anfänge
in ihren beiläufigen Worten und Gesten erkennen
und sie nicht einfach achtlos verstreichen lassen
können wir am Ende das größere Unheil verhindern.
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