Verwendete Bibelstellen
Lesung: Rut 1,7-10.14-17
Evangelium: Mt 8,18-21
Liebe Schwestern und Brüder,
das Alte Testament hat meist mit zwei Vorurteilen zu kämpfen:
zum einen, so sagt man, sei es eine reine Männergeschichte,
die bloß die patriarchalische Gesellschaft seiner Zeit widerspiegele;
und zum anderen definiere es Gott und sein Volk Israel
immer nur in Abgrenzung oder Feindschaft zu anderen Völkern.
Das Buch Rut allerdings widerlegt beides auf so eindrucksvolle Weise,
dass noch tausend Jahre später kein Geringerer als Goethe es als das
„lieblichste kleine Ganze“ bezeichnen konnte,
„das uns episch und idyllisch überliefert worden ist.“
(West-Östlicher Diwan)
Nun mag das unter literarischen Gesichtspunkten so sein,
aber der Inhalt des kleinen Buches ist alles andere als lieblich/idyllisch:
Es beginnt mit einer Hungersnot und einer Flucht aus der Heimat,
den Frauen sterben die Männer und Kinder weg,
rechtlich und wirtschaftlich wenig geschützt,
müssen sie hier ums Überleben kämpfen,
was mich in dieser existentiellen Dramatik eher an Hiob denken lässt,
als an das „lieblichste kleine Ganze, das uns idyllisch überliefert ist“.
Auch bei H. Feibusch wird die Erzählung einen anderen Widerklang gefunden haben,
nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner eigenen Flucht aus Nazi-Deutschland,
und den wirtschaftlichen und kulturellen Herausforderungen im fremden England.
Es wundert mich jedenfalls nicht,
dass er sich auch künstlerisch mit dieser Geschichte auseinandergesetzt hat
und sie als Motiv in seine Reihe von fünf alttestamentlichen Geschichten aufnahm.
Und so hängen die Frauen Naomi, Rut und Orpa bei uns nun neben den bekannteren Größen von Abraham, Mose, Jakob und David – und das ist auch gut so.
Weniger wegen einer gut gemeinten aber oberflächlichen Geschlechtergerechtigkeit,
als vielmehr deshalb, weil sie uns eine wichtige Geschichte des Menschseins erzählen
Und die geht so:
Israeliten und Moabiter waren damals keine Freunde – im Gegenteil.
In der Tora (Dtn 23,5) konnte jeder lesen, dass die Moabiter dem Volk Israel
auf dem Weg durch die Wüste die Versorgung mit Wasser und Brot verweigerten.
Und bösen Zungen führten die Moabiter sogar auf einen Inzest Lots zurück,
dem allein sie ihre Existenz zu verdanken hätten. (Gen 19,36f)
Kurzum: Wenn nun Israeliten ausgerechnet wegen einer Hungersnot
im benachbarten Moab Aufnahme, Nahrung und Zukunft finden,
dann war das nichts weniger als gesellschaftlicher Sprengstoff in Israel.
Aber genauso beginnt die Geschichte Naomis und ihrer Familie.
Und wie sehr sie ihre Zukunft im verfeindeten Moabit sahen,
das wird schon allein an der Tatsache deutlich,
dass beide Söhne Moabiterinnen heirateten.
Nun hießen die beiden Söhne jedoch Machlon und Kiljon,
was im Hebräischen so viel heißt wie „Kränklicher“ und „Schwächlicher“,
und der sprachkundige Hörer/Leser ahnt bereits das drohende Unheil.
Zuerst stirbt Naomis Mann, dann ihre beiden Söhne,
und zurück bleibt sie mit ihren beiden Schwiegertöchtern Rut und Orpa.
Diese für damalige Verhältnisse eh schon schwierige Konstellation
verschärft sich durch eine erneute Hungersnot, diesmal in Moab,
so dass Naomi sich dazu entschließt,
wieder nach Juda in ihre alte Heimat zurückzukehren.
Der Bund zwischen den drei Frauen ist inzwischen so stark,
dass Rut und Orpa ihre Schwiegermutter begleiten
und buchstäblich eine Grenzerfahrung machen
und vor eine Richtungsentscheidung gestellt werden:
umkehren oder weitergehen.
Und genau diesen Moment einer persönlichen Lebensentscheidung
hat Feibusch aus der Erzählung gewählt und uns vor Augen gestellt.
Der älteren Naomi im Vordergrund sieht man die leicht abwehrende Haltung
im Gesicht und an der rechten Handhaltung deutlich an: Kehrt um zu euren Müttern!
Doch Rut, in ein himmelblaues Gewand gehüllt,
das wir schon bei Feibuschs Mose gesehen haben
und das wohl Gottesverbundenheit ausdrücken soll,
steht hinter ihr: Dräng mich nicht, dich zu verlassen.
„Wohin du gehst, dahin gehe auch ich; wo du bleibst, bleibe auch ich.
Dein Volk ist mein Volk. Dein Gott ist mein Gott.
Nur der Tod soll mich von dir scheiden“.
Kein Wunder, dass viele Brautpaare diesen Schwur
auch heute noch als Trauspruch wählen.
Aber da sich hier eine Schwiegertochter an ihre Schwiegermutter bindet,
geht es nicht nur um die Zuneigung und Liebe zweier Menschen,
sondern auch um das Verhältnis zweier Generationen.
Da wo die Ältere die Jüngeren uneigennützig frei geben möchte,
weil sie um das harte und unsichere Schicksal als Fremde in Israel weiß,
und einfach eine bessere Zukunft für beide in deren heimatlichem Umfeld sieht,
da will die Jüngere nicht von der Älteren weichen,
vielleicht aus und sozialer Verpflichtung heraus (Rut bedeutet die „Satt-Machende“),
vielleicht weil die geteilte Trauer- und Leidensgeschichte zusammengeschweißt hat,
vielleicht aber auch deshalb, weil die Lebenserfahrung der Älteren etwas wert ist,
die Jüngere von ihnen lernen kann und will, nicht zuletzt auch über ihren Gott.
Ursprünglich wollte es Feibusch bei diesem Treueschwur
zweier Frauen, zweier Generationen, zweier Nationalitäten belassen,
und die fürwahr ungewöhnliche Szene nur im Mondschein
einer geheimnisvollen Nacht darstellen.
Doch auf dem Weg von seiner Skizze zur großen Leinwand,
tauchte er das Geschehen ins hellere Sonnenlicht und
nahm mit Orpa auch die zweite Schwiegertochter ins Bild.
Aus einer leicht kitschigen Liebestimmung
wird damit die Darstellung eines inneren Konflikts,
der so oder so ausgehen kann.
Beide Schwiegertöchter weinen,
sind hin und hergerissen zwischen ihrer Heimat und ihrer Bindung an Naomi,
beiden wird die Freiheit einer eigenen Entscheidung geschenkt bzw. zugemutet.
Und keiner weiß im Voraus, welches die richtige Entscheidung sein wird.
Die biblische Erzählung enthält sich jedes moralischen Urteils
und zeigt auch ein großes Verständnis für die Heimkehr Orpas
(was übersetzt die „den Rücken Kehrende“ heißt und was Feibusch auch so malt)
aber nur Ruts Geschichte wird weitererzählt und mit einem glücklichen Ende belohnt.
Mehr noch: Rut strahlt weit über ihre eigene Geschichte hinaus.
Sie wird letztendlich sogar zur Ahnfrau von König David
und wird auch im Stammbaum Jesu ausdrücklich genannt (Mt 1,5).
Sie, eine Frau, die ursprünglich auch noch Moabiterin war,
sie ist Teil der jüdisch-christlichen Heilsgeschichte geworden.
Und warum?
Mit dem Evangelium könnten wir vielleicht sagen,
weil sie eine Nachfolgerin ganz im Sinne Jesu ist,
der nicht vorrangig an Höhlen und Nestern gelegen ist,
und die auch nicht bei den Toten verharrt,
sondern die ihrem Herzen folgt.
Als Jesus im Evangelium seine Apostel – ganz ähnlich wie Naomi – fragt:
ob sie nicht lieber auch umkehren und ihn verlassen wollen wie so viele andere,
da antwortet Petrus: „Herr zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens.“
(Joh 6,67f)
Genauso gut hätte er sagen können:
„Dein Gott ist auch mein Gott.“
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