Fotos: Martin Horwarth OCSO
Um keines unserer sieben Sakramente ranken sich derart viele Geschichten und Legenden wie um „Die Beichte“. Natürlich hat die kirchliche Inszenierung nicht unwesentlich dazu beigetragen. Der dunkle Beichtstuhl, die Anonymität des Beichtenden, die Verpflichtung des Priesters auf das Beichtgeheimnis, all das fordert die menschliche Phantasie geradezu heraus – insbesondere wenn jedwede praktische Erfahrung fehlt.
Eine besonders dramatische Zuspitzung, die mich schon als Jugendlichen faszinierte, präsentierte Alfred Hitchcock in seinem Film „I confess/Ich beichte“ (1953). Dieser thematisiert den Konflikt eines jungen Priesters, der sich nur durch das Brechen des Beichtgeheimnisses von einem Mordverdacht befreien könnte. Stattdessen wahrt er selbst als Angeklagter vor Gericht noch die Integrität des Sakraments, bis der Mörder sich am Ende selbst entlarvt. Die Frage, wie weit das Beichtgeheimnis reicht, treibt das Drama an und wird – kirchenrechtlich durchaus korrekt – mit seiner absoluten Verbindlichkeit beantwortet.
Immer wieder fordern konstruierte Fälle die Beichte in der Theorie heraus. Dabei ist meine Erfahrung als sogenannter „Beichtvater“ eine gänzlich andere und weit weniger dramatisch. Es ist nicht der Massenmörder, der um ein Beichtgespräch bittet. Wenn ich es mir recht überlege, ging es in über 25 Jahren noch in keiner einzigen Beichte um einen wirklich strafrechtlich relevanten Fall. Es sind vielmehr Erfahrungen oder Entscheidungen, die kein Gericht der Welt verhandelt, die aber gleichwohl große und in manchen Fällen sogar zerstörerische Auswirkungen auf das eigene Leben und den zwischenmenschlichen Bereich haben können.
Dabei hat der Beichtstuhl als Ort – von einigen Innenstadtkirchen und Kathedralen einmal abgesehen – ebenso ausgedient, wie ein Beichtspiegel, der sich mechanisch an den Zehn Geboten abarbeitet. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mit „Eins nichts, zwei nichts, drei ja, vier nichts …“ in die Beichte ging und nach wenigen Minuten mit „Zwei Vater-unser und vier Gegrüßet-seist-du Maria“ wieder entlassen wurde. Kardinal Meisner wollte die Beichte noch mit dem samstäglich Bad als ein wöchentliches Reinemachen der Seele verglichen und verstanden wissen. Damit gab er allerdings unfreiwillig das Sakrament einer buchstäblichen Oberflächlichkeit preis, die zwangsläufig in die Karikatur und zu einem Beitrag des weiteren Niedergangs führen musste.
Wesentliches Merkmal der Beichte ist es doch gerade unter die Haut zu gehen, die tieferen Ursachen zu erforschen, um dann gegebenenfalls mit gewachsener Selbsterkenntnis Versöhnung zu suchen und einen Neuanfang zu wagen. Biblisch gesprochen ist Beichte Umkehr, also ein Innehalten, ein Reflektieren, ein Richtungswechsel. Die so nur grob umrissenen Aspekte machen bereits deutlich, dass Beichte eher ein Prozess ist, der sich weniger an festen und regelmäßigen Beichtzeiten in der Kirche orientiert, als dass er seine ganz eigene Zeit und seinen eigenen Raum braucht.
Daher scheint mir heute auch weniger die Anonymität des Beichtstuhls von Bedeutung als ein Priester, dem man sich tatsächlich anvertrauen mag. Sicher gibt es auch Menschen, die Fragen von persönlicher Schuld mit sich allein oder im Zwiegespräch mit Gott ausmachen. Aber schon Grimm`s Rumpelstilzchen wusste um die befreiende Wirkung, die im wahrheitsgemäßen Benennen und offenen Aussprechen von zerstörerischen Kräften liegt, denen man sich bewusst oder unbewusst ausgeliefert hat. Und wie gut tut es erst, wenn wir nicht nur um die Liebe oder Vergebung eines anderen wissen, sondern diese ebenfalls ausgesprochen wird. Manchmal müssen wir Menschen das einfach hören, um es glauben zu können. Und in der Beichte hören wir es von Gott.
Womit dann auch die Aufgabe des Priesters umschrieben wäre. „Die Schuld zu vergeben“ (Joh 20,23) gehört zu dem direkten Auftrag Jesu an die Jünger, nachdem sie von ihm den Heiligen Geist empfangen haben. Das heißt, nicht die persönliche oder gesellschaftliche Einschätzung darf in einer Beichte maßgeblich sein, sondern allein die Haltung Gottes, die der Priester zu verkörpern versuchen muss. Wie würde Jesus diesem Menschen begegnen? Welche Ermutigung oder welchen Trost würde er aussprechen? Würde er vielleicht auch warnende oder ermahnende Worte finden? Wie kann Vergebung glaubhaft zugesprochen werden? In jedem Fall muss in der Beichte mehr noch als in jedem anderen religiösen Vollzug die Menschenfreundlichkeit und Liebe unseres Gottes erfahrbar werden.
Im Laufe der Kirchengeschichte ist zweifellos auch viel Schindluder mit der Beichte getrieben worden. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie die Bereitschaft zur Selbstkritik, zum Schuldeingeständnis, zur Versöhnung und zum Neuanfang unter den besonderen Segen und Zuspruch Gottes stellt. Die meisten Beichten, die ich heute höre, stehen am Ende einer Reihe von geistlichen Gesprächen, ganz ungezwungen und fast natürlich. Ich erlebe sie in der Begleitung als ein Geschenk. Sie taugen nur selten für einen dramatischen Film. Aber sie taugen in jedem Fall für ein ehrliches Leben. Und ich wünschte, mehr Menschen würden diese ermutigende Erfahrung machen.
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