Als Pier Paolo Pasolini seinen inzwischen zum Klassiker gewordenen Film „Das 1. Evangelium nach Matthäus“ (1964) drehte, wollte er streng der Vorlage des Evangelisten folgen und auf jegliche Erklärung oder Überleitung verzichten, „denn kein eingefügtes Bild oder Wort könnte auf gleicher poetischer Höhe mit dem Text sein“. Und so muss man in den ersten Minuten des Films zwangsläufig den Eindruck gewinnen, einem Stummfilm beizuwohnen, denn in den Szenen eines Zimmermanns namens Josef in Nazareth fällt kein einziges Wort.
Immerhin darf der wortlose Josef bei Matthäus überhaupt eine Rolle spielen. Die anderen Evangelisten erwähnen ihn bestenfalls namentlich oder verzichten lieber gleich ganz auf ihn. Im Licht einer patriarchalischen Gesellschaft ist das eigentlich ein vernichtendes Urteil. Kein Wunder also, dass bis heute in fast jeder Krippendarstellung „Ochs und Esel“ prominenter platziert werden, und Josef meist im Hintergrund bleiben muss.
Trotzdem – oder gerade deswegen – hat Papst Franziskus 2021 zum „Josefsjahr“ erklärt, und uns aufgefordert, sich mit dem Ehemann Mariens und Ziehvater Jesu einmal auseinanderzusetzen und mehr in ihm zu erkennen als einen „gehörnten Ehemann und Träumer“, wie er auch schon despektierlich und gnadenlos beschrieben wurde.
Wohl aus Mitleid haben Christen bereits früh an der Legende gestrickt, Josef sei damals schon alt gewesen und kurze Zeit nach der Geburt Jesu gestorben, weshalb er auch keine tragende Rolle mehr im Leben seines Sohnes hätte spielen können. Aber davon steht in der Bibel nichts. Hier wird Josef lediglich als „gerechter“ Mann beschrieben, was im damaligen jüdischen Kontext nicht zuletzt ein Leben in Übereinstimmung mit dem „Gesetz Gottes“ bedeutete. Und nach diesem Gesetz hätte Josef einen Prozess gegen seine schwangere Verlobte anstreben können, in der Maria die öffentliche Bloßstellung und soziale Ächtung drohte, schlimmstenfalls sogar die Steinigung. Aber die Gerechtigkeit des Josef war größer als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, ganz so wie es Jesus viele Jahre später in der Bergpredigt fordern würde (Mt 5,20). Er sah den Sinn des Gesetzes nicht darin, Genugtuung für seine Enttäuschung und Verletzung zu erlangen, und wollte sich deshalb in aller Stille von Maria trennen.
Doch bevor es dazu kommt, hat Josef einen Traum. Träume sind im Judentum und im Alten Testament keine beliebigen Einbildungen, sondern eine anerkannte Form der Ansprache Gottes. „Denn einmal redet Gott und zweimal, man achtet nicht darauf. Im Traum, im Nachtgesicht, wenn tiefer Schlaf auf die Menschen fällt, im Schlummer auf dem Lager, da öffnet er der Menschen Ohr“ (Hiob 33,14ff). Josefs Ohr ist offen für das, was ihm aufgetragen wird. Er nimmt daraufhin seine schwangere Verlobte zu sich und gibt dem Kind des Heiligen Geistes den Namen Jesus. Diese Namensgebung ist alles andere als nebensächlich, stellt sie doch einen juristischen Akt dar, in dem sich Josef öffentlich als gesetzlicher Vater des Kindes erklärt, und es in sein Geschlecht, das Haus David, einreiht. So übernimmt er verbindlich die Verantwortung eines leiblichen Vaters.
Das Matthäus-Evangelium berichtet noch von zwei weiteren Träumen, die Josef zu teil werden, und die ihn und seine Familie zur Flucht nach Ägypten drängen, sowie nach dem Tod des Herodes zur Rückkehr in die Heimat. Drei Offenbarungen Gottes, denen dieser Mann sich anvertraut, und ohne die die Heilsgeschichte auch ganz schnell ein bitteres Ende hätte finden können. Es gibt Männer und Frauen, die für weit weniger heiliggesprochen wurden.
Aber mehr noch: Selbst wenn Josef jenseits der Kindheitsgeschichte im Neuen Testament keine Erwähnung mehr findet, heißt das nicht, dass er deswegen abwesend war. Im Gegenteil. Wenn Jesus für die Anrede Gottes später beziehungsreich von „Vater“ spricht, scheint hier eine Intimität durch, die ohne seine Erfahrungen der Güte und Barmherzigkeit, der Zuwendung und Nachsicht, der Liebe und Treue seines Ziehvaters Josef kaum denkbar ist. Anders gesagt: Wer weiß, ob es ohne Josef je ein „Vater unser“ gegeben hätte?
Vor 150 Jahren erklärte Pius IX. den Heiligen Josef zum „Patron der katholischen Kirche“; Pius XII. stellte ihn als „Patron der Arbeiter“ vor und Johannes Paul II. als „Wächter des Erlösers“. Große und ehrwürdige Titel. Für Franziskus ist in seinem aktuellen Schreiben Patris corde („Mit väterlichem Herzen“) jedoch ein anderer und näherliegenden Bezug wichtig. Die Pandemie, so der Papst, habe uns geholfen, die Bedeutung „gewöhnlicher“ Menschen klarer zu erkennen, die, obwohl sie nicht im Rampenlicht stehen, jeden Tag Geduld üben und Hoffnung schenken. Darin ähnelten sie dem Heiligen Josef, „dem Mann, der unbemerkt blieb, eine tägliche, diskrete und verborgene Präsenz“, und der dennoch „eine unvergleichliche Rolle in der Geschichte der Erlösung“ spielte.
Damit wird Josef auch zum Vorbild wider den Zeitgeist, der in unseren Tagen zwar ständig und auf allen Plattformen zu öffentlichen (Leidens-)Bekenntnissen drängt, und doch meist nur in narzisstischen Inszenierungen steckenbleibt. Hier wird der Heilige Josef vermutlich nicht viele Anhänger finden. Dort aber, wo der Alltag gelebt werden will, kann er jedem von uns Wertschätzung und Zuspruch vermitteln.
Gebet des Papstes zum Josefsjahr:
Sei gegrüßt, du Beschützer des Erlösers
und Bräutigam der Jungfrau Maria.
Dir hat Gott seinen Sohn anvertraut,
auf dich setzte Maria ihr Vertrauen,
bei dir ist Christus zum Mann herangewachsen.
O heiliger Josef, erweise dich auch uns als Vater,
und führe uns auf unserem Lebensweg.
Erwirke uns Gnade, Barmherzigkeit und Mut,
und beschütze uns vor allem Bösen. Amen.
Gegeben zu Rom, bei St. Johannes im Lateran,
am 8. Dezember, im Jahr 2020, dem achten meines Pontifikats.
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