Der anglikanische Gefängnisseelsorger Bob kann es gar nicht oft genug wiederholen: „Biscuits, Bible and Prayer, das ist es, was wir von euch brauchen.“ Wir stehen im Besuchszentrum des berühmten HM Prison Wormwood Scrubs, einer Haftanstalt aus viktorianischer Zeit, in der heute etwa 1200 Männer in (Untersuchungs-)Haft sitzen. Telefone, Schlüssel, scharfe Gegenstände … (die Liste ist lang), alles muss vor dem Betreten des Gefängnisses eingeschlossen werden. Vor uns liegt ein fast 3-stündiger Blick hinter Mauern und Zäune, und die Begegnung mit Menschen in diesem besonderen „Village“ wie Bob es nennt.
Nach Registrierung und Sicherheitscheck ist unsere erste Station die eindrucksvolle Kirche, die in ihren Ausmaßen fast an eine kleine Kathedrale erinnert und von Gefangenen selbst gebaut wurde. Bob geizt nicht mit Instruktionen: „Wenn wir jetzt gleich einen Häftling und einen Vollzugsbeamten treffen, redet nicht lange drumherum. Schießt los mit euren Fragen. Die haben nicht viel Zeit.“ Und so erfahren wir sehr schnell, dass ein Häftling in der Regel nur eine Stunde am Tag seine Zelle verlassen kann, um zu duschen, Sport zu treiben, andere zu treffen oder einen Gottesdient zu besuchen. Auch die kurze Begegnung mit uns geht von seinen 60 Minuten ab.
Für den Vollzugsbeamten ist es die Mittagspause. Ruhig erklärt uns der Gewerkschaftsvertreter, der schon über 30 Jahre im Dienste seiner Majestät steht, dass er die Gewaltausbrüche für die größte Herausforderung in seinem Job hält. Und die Drogen, die inzwischen mit Dronen und Mobiltelefonen von draußen direkt zu den Gefangenen navigiert werden. Manchmal habe er den Eindruck, so der Beamte, dass gar kein großes Interesse daran bestehe, den Drogenkonsum im Gefängnis zu unterbinden; denn sedierte Gefangene lassen sich besser kontrollieren. Allerdings führe der Drogenhandel zu vielen Übergriffen und Abhängigkeiten, die sich gerade auch organisierte Banden zunutze machten.
Da in der Mittagspause alle Insassen eingeschlossen werden, machen wir uns auf den Weg in einen vierstöckigen Flügel des Gefängnisses. Auf dem Hof spielen Vollzugsbeamte Fußball. Die Zellen haben auch deshalb so niedrige und schmale Türen, weil sie ursprünglich für Kinder und Frauen gebaut wurden, erklärt uns der Vorsteher des Flügels. Es sind im Wesentlichen Einzelzellen. Zwei Personen hätten auf Dauer auch kaum Platz in der spürbaren Enge des Raumes, den wir betreten dürfen. Er wurde zu einem Gesprächsraum umfunktioniert, in dem Gefangene mit Seelsorgern und Freiwilligen über ihre Probleme reden können.
Die Seelsorge spielt eine große Rolle im „Village“, erklärt uns auch Bobs Chef, ein Muslim. Auf dem Weg zu seinem Büro machen wir nicht nur Stopp in einem „Multi-Faith-Room“, sondern treffen auch einen katholischen Diakon, eine freikirchliche Pastorin und einen hinduistischen Seelsorger. „Wir arbeiten hier interreligiös zusammen, jeder hilft jedem, und das in einer Weise, wie ich es noch nirgendwo in Europa gesehen habe, auch nicht in Deutschland“, sagt der Chef und fährt fort: „Trennung und Feindseligkeit treten hier vor allem durch konkurrierende (Postcode-)Banden hervor, nicht durch unterschiedliche Religionszugehörigkeit.“
Seiner Meinung nach gehören eine gottlose Gesellschaft und zerbrochene Familien zu den Hauptgründen für eine zunehmende Kriminalität und Respektlosigkeit gerade auch unter den jüngeren Insassen. „Wir alle versuchen ihnen mit Respekt zu begegnen und fordern umgekehrt auch von ihnen Respekt ein.“ Gottesdienste werden zwar unabhängig von der Religion nur von kleinen Gruppen besucht, aber Bibelkreise und spirituelle Angebote hätten eine ganz wichtige stabilisierende und richtungsweisende Funktion im Leben vieler Gefangener.
Bibelkreise, das ist Bobs Stichwort. Als Seelsorger darf er persönlich den Insassen nichts schenken, um keine Abhängigkeiten zu schaffen oder Gefälligkeiten herauszufordern, noch nicht einmal eine Bibel oder ein Plätzchen. Aber er darf sie, wenn sie von anderen kommen, weiterreichen. Und so fordert er uns auch beim Abschied noch einmal eindringlich auf: „Schickt uns Bibeln und Biscuits. Aber das Wichtigste: Schenkt uns eure Gebete!“

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